Unrechtsbewusstsein schärfen

Die zwei schönsten Jahre meiner Kindheit verbrachte ich im Wadi Jamal, südlich von Haifa, das heute längst ein Teil dieser Stadt ist. Das kleine Holzhaus, in dem wir lebten war auf "unverteiltem israelischem Staatsland" errichtet worden. Erst viel später wurde mir bewusst, dass es früher palästinensischen Leuten gehört haben musste, Menschen, wie unsere arabischen Nachbarn, die uns mittellose Neuankömmlinge so grosszügig in ihrer Mitte akzeptiert hatten, dass wir Kinder bei ihnen jederzeit ein- und ausgehen konn-ten. Hin und wieder schenkten sie uns sogar etwas, ein Ei, eine kleine Süssigkeit, viel, in Zeiten so gros-sen Mangels.

Die durch die Zeit des antifaschistischen Widerstandes geprägten Werte, die mir damals vermittelt worden waren, z.B., dass die Vision einer solidarischeren Welt, nicht die Herkunft wichtig ist, galten später, in der Schweiz des Kalten Krieges, wenig. Ausgrenzung und Argwohn trafen das, was als fremd wahrgenom-men wurde. Erst in der Bewegung gegen den Vietnam-Krieg tauchten sie wieder auf, diese universalisti-schen Werte gegen Krieg, Ausbeutung und Unterdrückung, für Gerechtigkeit, Frieden und Gleichwertig-keit aller Menschen.

1967, unmittelbar nach dem Sechstage-Krieg kehrte ich nach Israel zurück, diesmal zusammen mit mei-nem Mann, als Freiwillige für Erntearbeiten im Kibbuz. Dort erlebte ich den Hochmut der Sieger und ihre Verachtung für die Araber. Ich war schockiert, verletzt, schliesslich wurde ich krank. Meine einzige Erleichterung bestand darin, dass ich (vermutlich) das Häuschen meiner Kindheit wiederfand. Es hatte einen Anbau und eine kinderreiche palästinensische Familie wohnte darin...

In den Jahren seither habe ich meinen Blick geschärft für das, was die reichen Länder den Menschen ganzer Kontinente über Jahrhunderte angetan haben und noch antun. Ohne die Entwicklung eines Un-rechtsbewusstseins in der westlichen Zivilisation und deren Verzicht auf Privilegien, wird der Kampf der "Verdammten dieser Erde" (Frantz Fanon) für Verhältnisse, die ihnen ein Leben in Würde erlauben, wei-tergehen, auch in Palästina. Mit der Kampagne Olivenöl setzen wir ein kleines, aber konkretes Zeichen der Sympathie und des Respekts, für Gerechtigkeit und Würde. In diesem Sinne ist sie auch ein Frie-densprojekt.


Anjuska Weil-Goldstein

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© Aktion Kinder des Holocaust 2001