Rechtsextreme - Nicht nur junge, dumme Pöbler
QU: Neue Luzerner Zeitung, 2001-02-02; Seite 1

Der oberste Staatsschützer Urs von Daeniken beobachtet die
wachsende rechtsextreme Szene mit Sorge.

ek/eno. Die rechtsextreme Szene wächst, sie ist gut organisiert
und betreibt aggressive Propaganda. «Die Szene ist immer
noch in einem dynamischen Wachstum», stellt der oberste
Staatsschützer, Urs von Daeniken, im Interview mit unserer
Zeitung fest.

Aufmärsche am Wochenende

Letzten Samstag seien in Olten 50 Rechtsextreme durch die
Stadt marschiert. «Wir werden uns daran gewöhnen müssen,
dass wir Wochenende für Wochenende einen solchen Aufmarsch
haben werden», ist von Daeniken überzeugt. Der Dienst für
Analyse und Prävention im Bundesamt für Polizei geht von einem
harten Kern von rund 800 Personen aus. «Das sind nicht nur ein
paar junge, dumme Pöbler. Sie verfügen über internationale
Beziehungen.»

Prävention mit Kantonen

Von Daeniken hält nichts von übertriebenem Aktivismus.
«Gesetze können nicht einfach von heute auf morgen geändert
werden, sondern müssen demokratisch abgestützt sein.»
Tatenlos warte man aber nicht ab, betont von Daeniken. Die
Szene werde polizeilich intensiv beobachtet und kontrolliert, mit
dem Ziel, das Wachstum einzudämmen, Rechtsbrüche zu
ahnden und die zunehmende internationale Vernetzung zu
verfolgen. «Wir versuchen, möglichst offen über die Szene zu
orientieren und die Massnahmen international abzustimmen.»
Die Aufklärungsarbeit müsse aber in Zusammenarbeit mit den
Kantonen erfolgen, betont von Daeniken. Im Kanton Luzern, wo
nach wie vor viele Treffen rechtsextremer Gruppierungen
stattfinden, versuche man, systematisch die Lehrer anzusprechen
und die Eltern zu sensibilisieren.

Sorge wegen Linksextremismus

Im Auge hat die Polizei auch die wachsende Zahl linker,
gewaltbereiter Gruppen, die Demonstrationen wie jüngst gegen
das Weltwirtschaftsforum für ihre Zwecke missbrauchten. Es
dürfe nicht sein, dass man Gewalt von einer Seite toleriere und
von der anderen nicht.

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Skin-Aufmarsch an jedem Wochenende

Der oberste Staatsschützer Urs von Daeniken rechnet mit
einem bewegten Rechtsextremismus-Jahr.

VON EVA NOVAK, BERN

Ein halbes Jahr nach dem Rütli-Skandal scheint es um den
Rechtsextremismus in der Schweiz ruhiger geworden zu sein.

Urs von Daeniken: Das täuscht, die Szene ist immer noch in
einem dynamischen Wachstum. Wir hatten letztes Jahr so viele
Gewaltakte wie noch nie. Die Anzahl der Ereignisse hat sich auf
über 130 verdreifacht, davon waren mehr als 40 Gewaltakte. Und
die Szene ist durchaus immer noch in einer selbstbewussten
Ausdehnung begriffen, man kann nicht sagen, dass da ein Trend
gebrochen ist.

Wie hoch schätzen Sie die Zahl der aktiven Rechtsextremisten?

Von Daeniken: Letztes Jahr sprach man von 700 Personen,
mittlerweile ist die Szene auf rund 800 angewachsen. Dazu
kommen noch mehrere hundert Mitläufer,
Gelegenheitsinteressierte oder Festbesucher. Das zeigen auch
unsere Zahlen: Wir erfassen jene, die mehrfach an Treffen
teilgenommen haben, und das trifft für 800 Personen zu.

Ruhiger wurde es also nur in den Medien?

Von Daeniken: In der Berichterstattung ist eine Art nützlicher
Sachlichkeit eingetreten. Das ist genau das, was wir brauchen,
um das Thema bearbeiten und auch bewältigen zu können.

Sie haben als Chef einer Arbeitsgruppe vergangenen Herbst
einen ganzen Massnahmenkatalog vorgeschlagen. Was wurde
bisher umgesetzt?

Von Daeniken: Auf Grund unserer Empfehlungen stellte der
Bundesrat die politischen Weichen in Richtung Gesetzgebung
Strafrecht und Propagandamassnahmen, aber auch in Sachen
Information und Prävention. Inzwischen hat eine weitere
Arbeitsgruppe, welche die Umsetzungen koordiniert und
kontrolliert, ihre Arbeit aufgenommen.

Konkret ist noch nichts geschehen?

Von Daeniken: Ich verstehe, dass man auf Sofortmassnahmen
anspricht. Doch Gesetze können nicht einfach von heute auf
morgen geändert werden, sie müssen demokratisch abgestützt
sein. Wir sind daran, Massnahmen mit Hand und Fuss zu
entwickeln. Kopflose Hauruckübungen bringen nicht die Lösung,
vor allem nicht ausserhalb des ordentlichen
Gesetzgebungsverfahrens.

Also wartet man lieber tatenlos ab?

Von Daeniken: Natürlich nicht. Was weitergeht, ist die ganz
starke polizeiliche Beobachtung und Kontrolle der ganzen Szene.
Dies mit dem Ziel, das Wachstum einzudämmen, allfällige
Rechtsbrüche wie den Verstoss gegen die
Antirassismus-Strafnorm sofort zu erkennen und auch die zurzeit
stark wachsenden internationalen Beziehungen zu verfolgen. Wir
versuchen auch, möglichst offen über die Szene zu orientieren
und die Massnahmen international abzustimmen.

Zum Beispiel?

Von Daeniken: In der Alpenländerkonferenz darf ich zum Beispiel
als Leiter der Arbeitsgruppe Rechtsextremismus Massnahmen
vorschlagen, die noch in diesem Jahr von den Innenministern der
sechs Alpenländer verabschiedet werden sollen. Das Ziel ist
eine möglichst gute internationale Zusammenarbeit unter den
Sicherheitsbehörden und eine gute Vernetzung der
Massnahmen, die der Szene kein Ausweichen mehr erlauben
sollten.

Kam die Initiative dazu von der Schweiz?

Von Daeniken: Das Thema wurde auf Initiative von Bundesrätin
Ruth Metzler vergangenen August auf die Traktandenliste
genommen.

Mit Rechtsextremismus befasste sich diese Woche auch eine
Konferenz von 50 Ländern in Stockholm, an der Sie mit
Bundesrätin Metzler teilgenommen haben. Wie steht die Schweiz
im internationalen Vergleich da?

Von Daeniken: Von der Betroffenheit her befindet sich die
Schweiz irgendwo im Mittelfeld. Wir haben aktiv mitgearbeitet,
vor allem bei der Bekämpfung des Rassismus und
Rechtsextremismus im Internet. Wir haben das auch gegenüber
den Amerikanern und Kanadiern thematisiert, die eine andere
Auffassung haben. Hier hat die Schweiz eine Kerngruppe von
gleichgesinnten Staaten um sich geschart mit dem Ziel, die
Meinungsäusserungsfreiheit gegenüber den Rechten Betroffener
weniger stark zu gewichten als die Amerikaner.

Aussenpolitisch ist die Schweiz demnach sehr aktiv?

Von Daeniken: Ich möchte unterstreichen, dass die Schweiz im
Rahmen ihrer aussenpolitischen Möglichkeiten eine treibende
Rolle spielt und dass wir unseren Standpunkt nachhaltig und
mehrfach eingebracht haben. Und ich glaube, dass das bei den
anderen Nationen richtig verstanden wurde.

In anderen Bereichen schalten andere schneller: Deutschland
plant nach dem Vorbild skandinavischer Staaten ein
Ausstiegsprogramm für Skinheads. Wird so etwas auch bei uns
realisiert?

Von Daeniken: Das wird zurzeit von meiner Arbeitsgruppe
geprüft. Es ist ja nicht so, dass die Schweiz ein Einheitsstaat
wäre, in dem man von Bern aus den Kantonen befehlen könnte,
was sie zu tun und zu lassen haben. Man muss das vielmehr
zusammen mit den Kantonen machen, mit den Sozialdiensten
und der Erziehungsdirektorenkonferenz, der EDK.

Wie weit sind die Pläne gediehen?

Von Daeniken: Wir führen zum Beispiel im Februar eine
Informationstagung durch, bei der wir einen Spezialisten aus
Norwegen haben, damit er den Kantonen über seine Erfahrungen
berichten kann. Es ist hier Überzeugungsarbeit zu leisten, und es
ist auch zu schauen, ob das Programm überhaupt auf die
schweizerische Wirklichkeit passt oder ob wir etwas Eigenes
erfinden sollen. Selbstverständlich warten wir nicht, bis da
irgendein Programm kommt, sondern es wird schon jetzt auf
allen Ebenen versucht, die Jugendlichen zu informieren.

Wie?

Von Daeniken: Wir haben eine Informationsschrift, die in Schulen
verteilt wird, die sich dafür interessieren. Es wird auch versucht,
in einigen Kantonen, die mitmachen ­ zum Beispiel im Aargau
oder in Luzern ­, die Eltern oder die Lehrer anzusprechen und zu
sensibilisieren.

Warum gibt es noch kein Präventionsprogramm an den Schulen?

Von Daeniken: Wenn wir dies gesamtschweizerisch machen
wollen, dann geht das nur über die Konferenz der kantonalen
Erziehungsdirektoren. Wir sind schon vor rund fünf Jahren an die
EDK herangetreten. Geführt hat das leider zu nichts.

Der Staatsschutz wollte also an den Schulen aufklären, die EDK
bot aber keine Hand dazu?

Von Daeniken: Ja, wir haben das offeriert, aber es war damals
kein Thema. Heute ist die Bereitschaft auf Grund der jüngsten
Ereignisse grösser, und man ist offensichtlich interessiert.
Allerdings möchten wir zuerst unsere Arbeit unter Einbezug von
Spezialisten aus den Kantonen so weit vorantreiben, dass wir mit
ganz konkreten Vorschlägen kommen können.

Ist die Polizei aktiv genug?

Von Daeniken: Wir sind täglich mit dem Phänomen konfrontiert
und versuchen, es im Rahmen unserer Möglichkeiten zu
bekämpfen. Wir versuchen zu erkennen, wir versuchen
international die Szene zu verkleinern, wir versuchen den
Handlungsspielraum einzuschränken, wir versuchen, die
Konzerte zu verhindern und wir versuchen, jene
Propagandamaterialien einzuziehen, die wir gestützt auf unseren
begrenzten Handlungsspielraum einziehen können. Ich glaube,
dass auf der Seite der Repression in der Schweiz auch im
Vergleich zum Ausland sehr viel gemacht wird. Die Polizei macht
ihre Arbeit gut.

Wer denn nicht?

Von Daeniken: Nachholbedarf sehe ich bei den Massnahmen in
Erziehung, Beratung und im Sozialbereich. Dank der
Berichterstattung in den Medien vom vergangenen Jahr werden
unsere Massnahmen jetzt zwar auch dort unterstützt. Die
Nagelprobe kommt aber dann, wenn dafür Finanzen gesprochen
werden müssen.

Wie lange wird der Rechtsextremismus noch weiter zunehmen?

Von Daeniken: Seit zwei Jahren haben wir eine massive
Zunahme und einen hohen Organisationsgrad. Kurzfristig
rechnen wir mit einem weiteren Anstieg, mittelfristig mit einer
Stabilisierung. Wir müssen verhindern, dass die Neonazi-Szene
sich in einer Form konstituieren kann, die sie zur wählbaren
Partei macht.

Wie weit betrachten Sie das legale Parteienspektrum am
rechten Rand, etwa die neu gegründete Berner Volkspartei, der
ein Nährboden für den Rechtsextremismus nachgesagt wird?

Von Daeniken: Wenn jemand Gewalt anwendet, ob links oder
rechts, fällt dies in unseren Bereich. Man muss aber
unterscheiden zwischen geäusserter Gewalt, rassistischen
Handlungen, und auf der anderen Seite Einstellungen, welche
durchaus ihren Platz im demokratischen System finden können.
Ich bin jedoch überzeugt, dass eine schweigende Mehrheit, die
gewisse Tendenzen unterstützt, ein Nährboden sein kann. Das
hat die Erfahrung gezeigt und lehrt uns die Täterbefragung.

Was glauben Sie, ist die nächste Rütli-Feier mit grölenden Skins
programmiert?

Von Daeniken: Vom Potenzial und den Möglichkeiten her sind
die Skinheads jederzeit in der Lage, so etwas medienwirksam
zu inszenieren. Hier ist die Verantwortlichkeit der Medien gefragt.
Jene, welche die Publizität suchen, sollte man nicht noch zu
Helden machen und damit die Anziehungskraft noch erhöhen. Es
besteht die Gefahr, dass man gerade für die Jugendlichen diese
Skins und Rechtsextremen zu Führern hinaufstilisiert. Das wird ja
in der Szene als Erfolg gefeiert, auch wenn sie negativ
dargestellt werden.

Ganz anders letzten Samstag: Da sind 50 Skins durch Olten
marschiert, und von den Medien wurde dies nur am Rande
notiert, weil alle nur nach Davos geschaut haben. Wir werden uns
daran gewöhnen müssen, dass wir Wochenende für
Wochenende einen solchen Aufmarsch wie in Olten haben
werden. Man darf sich nicht der Illusion hingeben, das seien nur
ein paar junge, dumme Pöbler. Die verfügen über genügend
internationale Beziehungen, um sich das notwendige Know-how
zu holen. Deshalb denke ich, dass wir ein bewegtes Jahr vor uns
haben.

Urs von Daeniken war bis Ende 2000 Chef der Bundespolizei. Er
leitet seit der Reorganisation des Bundesamtes für Polizei deren
Nachfolgestelle «Dienst für Analyse und Prävention».


Linksextreme Szene wächst

Gewaltbereitschaft gibt es nicht nur bei den Rechtsextremen,
wie die Zürcher Ausschreitungen von Gegnern des
Wirtschaftsforums in Davos zeigten. Urs von Daeniken behält
auch diese Szene im Auge, denn es dürfe nicht sein, dass man
Gewalt von einer Seite toleriere und von der anderen nicht:
«Sobald Gewalt und strafrechtlich relevante Tatbestände ins
Spiel kommen, müssen wir uns damit auseinander setzen.»

In der Schweiz gebe es seit einigen Jahren eine wachsende
Szene linker gewaltbereiter Gruppen, die Demonstrationen
missbrauchten. «Wir beobachten diese Entwicklung mit
Besorgnis», sagt von Daeniken. Die Zahl solch militanter
Linker wird auf 200 bis 300 geschätzt. Je nach Anlass finden
diese jedoch viele Mitläufer, wie die
Anti-WEF-Demonstrationen eindrücklich gezeigt hätten.

Von Daeniken hat zudem einen Wandel dieser Szene
ausgemacht. Nicht mehr der Kampf gegen den
Antiimperialismus stehe im Vordergrund, sondern der
Widerstand gegen die Globalisierung. Mittel und Sprache
seien jedoch praktisch die gleichen geblieben. Eine ähnliche
Entwicklung wie sie Deutschland mit der RAF durchgemacht
hat, sieht von Daeniken nicht auf die Schweiz zukommen: «Wir
sind weit weg von einem solchen Linksterrorismus.»

eno/gr


Luzern ist nach wie vor ein Zentrum

Anfang der Neunzigerjahre war der Schwerpunkt der
rechtsextremen Szene in der Zentralschweiz beheimatet.
Marcel Strebel trieb von Schwyz aus mit seiner Kampftruppe
sein Unwesen. 1990 formierten sich die schweizerischen
Hammerskins in Luzern. Es war der erste Ableger in Europa
dieser aus den USA stammenden Skinheads. 1993 wurde in
Sempach der Morgenstern gegründet.

Beide sehr aktiven Gruppierungen gründeten auch den
Treffpunkt in Malters. Laut Roman Studer vom Dienst für
Analyse und Prävention hat erst kürzlich im Raum Willisau ein
Treffen der beiden Organisationen stattgefunden. Er ist denn
auch der Ansicht, dass der Kanton Luzern nach wie vor zu den
Zentren des Rechtsextremismus gehöre.

Neue Formationen

Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit demonstrierten
am vergangenen Wochenende gegen fünfzig Personen aus
dem rechtsextremen Lager in Olten. Laut Studer waren vor
allem zwei relativ neue Organisationen am Werk, die Partei
national orientierter Schweizer (Pnos) und die Nationale
Aufbauorganisation (Nao).

Während die Pnos vor allem in der Nordwestschweiz für
Schlagzeilen sorgte, versucht die Nao eine
gesamtschweizerische Struktur auf die Beine zu stellen. Studer
beurteilt die Nao als gefährlich: «Bei der Nao handelt es sich
um einen bisher recht erfolgreichen Versuch, eine neue
nationale Struktur Rechtsextremer zu schaffen, welche die
Öffentlichkeit sucht.»

Die Organisation falle durch aggressive Mitgliederwerbung auf.
Inzwischen sollen sich bereits zwischen 100 und 200 Mitglieder
eingeschrieben haben. Der Führer der Nao vertrete gleichzeitig
als NPD-Sonderbeauftragter die Interessen dieser vom
deutschen Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften
Partei in der Schweiz. Zurzeit seien jedoch praktisch keine
Aktivitäten der Nationalen Partei der Schweiz (NPS)
feststellbar.v


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