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Web-Saubermänner

Schmutzige Sites verseuchen das Internet. Vielen Surfern reichts. Lösen Bürgerwehren die Probleme?

QU: Tele, 22. Juni 2001
siehe auch: Quels verrous contre le «portail de la haine» ?
L'association antiraciste J'Accuse veut assigner seize fournisseurs d'accès qui se refusent à filtrer l'accès au site front14. / La Liberation

Seit Menschen Dinge erfinden, denken andere darüber nach, wie sie die
Neuerungen für kriminelle Machenschaften verwenden können. So auch beim
Internet. Seit der Popularisierung des Webs Mitte der Neunziger-Jahre
sind rechtsradikale Websites und Kinderpornografie leider ein
Dauerthema. Die Bekämpfung der illegalen Sites ist für staatliche Organe
schwierig, weil geltendes Recht meist nicht angewendet werden kann.
Viele sehen die Lösung in Bürgerwehren.

Pioniere der digitalen Bürgerwehrbewegung sind die Cyber Angels
(www.cyberangels.com). Seit 1995 durchforsten rund 3000 Freiwillige das
Web nach Schweinereien, wobei vorrangig die Kinderpornografie im Visier
der Organisation steht. Dabei arbeiten die digitalen Engel auch mit
staatlichen Einrichtungen wie etwa dem FBI zusammen und können den
Behörden immer wieder Hinweise auf illegal handelnde Personen geben.

Moralischen Druck ausüben
Danièle Bersier vom Bundesamt für Polizei äussert sich positiv über
Bürgerwehren im Web. Sofern diese nicht ausserhalb der Legalität
operierten, seien sie geeignet, einen moralischen und ökonomischen Druck
zum Beispiel auf Provider zu erzeugen. Das Bundesamt selbst hat ein
rechtliches Problem. Viele bei uns illegale Sites liegen auf Servern in
den USA und sind dort teils nicht als illegal eingestuft, weil in
Amerika die Redefreiheit viel weiter geht als bei uns. Sie unterstehen
also nicht dem schweizerischen Recht und deshalb darf das Bundesamt
nicht eingreifen. «Ein Fass ohne Boden», fasst Bersier die Situation
zusammen.
Dieses Loch im Fass etwas zu verkleinern ist eines der Ziele
der «Aktion Kinder des Holocaust». Samuel Althof konnte im Februar die
grossen Schweizer Provider dazu bewegen, einige hundert ausländische
Websites mit braunem Inhalt inklusiv sämtliche E-Mail-Kommunikation zu
sperren ? und setzte sich damit der Kritik aus.

Die Sperraktion ist für die Swiss Internet User Group (SIUG)
problematisch. Felix Rauch, Vorstand der SIUG: «Internetprovider treffen
Massnahmen, die bei anderen Übermittlungsanbietern undenkbar wären. Nie
würde die Swisscom auf die Idee kommen, Telefonleitungen stillzulegen,
nur weil über diese beispielsweise Drogen verkauft werden.»

Dem Vorwurf der Zensur kann Samuel Althof nichts abgewinnen: «Dies ist
eine Simplifizierung eines hochkomplexen Sachverhaltes und eine
missbräuchliche Verwendung des Begriffes. Die Menschenwürde verachtende
Worte sind bereits Vorbereitung zu Gewalttat und Terror. Das Web gibt
den Rechtsradikalen durch die Anonymität die Möglichkeit, Straftaten zu
begehen und einen Nährboden für eine terroristische Subkultur zu
bilden.» Tangiert die Sperrung von Websites aber nicht generell die
Meinungsfreiheit? Althof: «Der Schutz des Menschen muss höher eingestuft
werden als der absolute ?free speech? im Web. Wer das Internet wertvoll
findet, wie dies unsere Kritiker und auch wir tun, sollte sich
konstruktiv für ein sauberes Medium einsetzen. Die Enttarnung so
motivierter Websites muss eine Selbstverständlichkeit in einer humanen
Gesellschaft sein.»

Martin Regenbrecht vom Verein «naiin» gegen Missbrauch im Internet teilt
hingegen die Skepsis gegenüber der Strategie der völligen Sperrung von
Websites. «Schnell entsteht so der Eindruck von Zensur.» Regenbrecht
vermisst einen festen Massstab, mit dessen Hilfe über Sperrungen
entschieden werden kann. Wünschenswert wäre generell eine
Internetverfassung, ein ethisches Grundgesetz, dem sich die
Internetgemeinde verpflichtet fühlt.

Trotz der Gegensätze sind sich alle einig: Den Web-Saubermännern wird
die Arbeit so schnell nicht ausgehen. Dass der Schmutz eher zu- denn
abnimmt, zeigt die Häufigkeit der eingehenden Hinweise über schmutzige
Websites auf www.naiin.org. Es sind 30 bis 50 Meldungen pro Woche.
RETO WIDMER




© Aktion Kinder des Holocaust