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Rudolf Steiner
QU: Der Tagesspiegel, 26. August 2000

Wer mit den Wurzeln rasselt - Anthroposophie-Alarm? In den Werken Steiners finden sich rassistische Aussagen

Mark Terkessidis

Seit einiger Zeit ist die Anthroposophie ins Gerede gekommen, denn in den Schriften ihres Begründers Rudolf Steiner und seiner Schüler stehen rassistische Aussagen. Im Juli etwa fanden Journalisten in einem "Literaturplan" von 1998 für Klassenlehrer an Waldorfschulen, auf ein Werk des Steiner-Getreuen Ernst Uehli, in dem das "Genie" der "arischen Rasse" gepriesen wurde. Das Familienministerium ließ daraufhin des erstmals 1936 erschienenene "Atlantis und das Rätsel der Eiszeitkunst" auf den Index setzen. Sachverhalt: "Rassendiskriminierung".
Mitte der neunziger Jahre hatten in den Niederlanden Eltern gegen "Rassenkunde" im Unterricht von Waldorfschulen protestiert. In Schulheften fanden sie Eintragungen wie diese: "Neger haben dicke Lippen und viel Gefühl für Rhythmik." Die Anthroposophische Gesellschaft in Holland gab einen Bericht in Auftrag, der Steiners Werk systematisch untersuchen sollte. Das Abschlußpapier erschien im April 2000. Sein Ergebnis: Das Werk enthalte weder eine "Rassenlehre", noch Aussagen, die absichtlich Menschen wegen ihrer "Rassenzugehörigkeit" beleidigten. Allerdings fand die Kommission 16 Aussagen, die wegen ihres diskriminierenden Charakters nach niederländischem Recht strafbar wären.

Gewisse Zweifel bleiben. Der Journalist Peter Bierl bezeichnet in seiner akribischen Studie "Wurzelrassen, Erzengel und Volksgeister" die Anthroposophie sogar als "rassistische Ideologie" und rechnet sie dem Spektrum der "völkischen Revolution" zu. Mit diesem Begriff fasste der Historiker George Mosse die vielen Gruppen zusammen, die vor allem während der Weimarer Republik völkisches Gedankengut vertraten. Sie wiesen durchaus weltanschauliche Gemeinsamkeiten mit dem Nationalsozialismus aus. In der Auflösung der Anthroposophischen Gesellschaft durch den Gestapo-Chef Heydrich 1935 sieht Bierl das Ausschalten einer konkurrierenden Fraktion. Zudem war das Verbot, wie er nachweisen kann, innerhalb der Partei umstritten. Noch 1942 versuchte der Pädagoge Alfred Bäumler die Auflösung rückgängig zu machen - vor allem mit dem Argument, gerade in der "Rassenlehre" bestehe eine "wesentliche Übereinstimmung zwischen der Menschenkunde des Nationalsozialismus und der Rudolph Steiners."

Die "Rassenlehre" in Steiners anthroposophischer "Geheimwissenschaft", schreibt Bierl, sei zu Beginn des Jahrhunderts insbesondere in dem Buch "Aus der Akasha-Chronik" entwickelt, und später in anderen Werken wieder aufgenommen worden.

Steiner vertrete dort eine Theorie der "Wurzelrassen", die in die allgemeine Lehre von der "spirituellen Evolution" eingebettet sei. Nach dieser Auffassung entwickele sich der Geist stets höher, während auf diesem Weg bestimmte Lebensformen zurückbleiben. Steiner erkläre die Menschheitsentwicklung als Abfolge von sieben "Wurzelrassen" mit jeweils sieben "Unterrassen". Dabei halte Steiner die "weiße Rasse" für "die zukünftige, am Geist schaffende Rasse" und das deutsche Volk für besonders befähigt zur "Geistesschau".

Bierl ist ein wackerer Antifaschist aus den Kreisen der radikalen, ökologischen Linken und sein Buch ist ein gut recherchierter Frontalangriff. Der Autor tut sich jedoch keinen Gefallen, wenn er seine durchaus differenzierte Einordnung der Anthroposophie ins völkische Spektrum der Weimarer Zeit am Ende zugunsten einer pauschalen Diffamierung ihres "braunen Geistes" unterläuft. Wer Bierls Buch gelesen hat, wird gewiss nicht mehr behaupten können, Steiners Werk beinhalte keine "Rassenlehre".

Allerdings war bis in dreißiger Jahre hinein rassistisches Gedankengut ebenso unbezweifelt und allgemein verbreitet wie heute der Glaube an die freie Marktwirtschaft. So können anthroposophische Kreise durchaus mit Recht darauf hinweisen, dass Steiners Bemerkungen "zeitverhaftet" waren. Nicht erklärt ist damit, warum bestimmte Elemente der Steinerschen "Rassenlehre" auch heute noch in der Waldorfpädagogik eine Rolle spielen.

Anthroposophen sind keine homogene Gruppe, aber allzu viele halten das Werk ihres Meisters für sakrosankt, und das blockiert jede vernünftige historische Aufarbeitung in der Anthroposophie selbst. Die Reaktionen bestimmter Kreise innerhalb der anthroposophische Gemeinschaft auf Kritik - etwa jene von Thomas Meyer in der Märzausgabe der Zeitschrift "Der Europäer" - unterscheiden dann auch leider sich wenig von jenen der sogenannten Neuen Rechten: Man fühlt sich vom linken Meinungsterror verfolgt.

Wenn Anthroposophen weiter Kinder unterrichten wollen, dann müssen sie die rassistischen Bestandteile von Steiners Lehre anders aufarbeiten als bisher. Mit Klagen gegen Kritiker oder dem Verweis auf Meinungsfreiheit ist es zweifellos nicht getan.


Peter Bierl: Wurzelrassen, Erzengel und Volksgeister - Die Anthroposophie Rudolf Steiners und die Waldorfpädagogik. Konkret Literatur Verlag. Hamburg, 2000. 270 Seiten. 39 Mark






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