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Brief an "Werwolf" einen Alt-Nazi in Österreich

(Werwolf war eine der letzten Bastionen der Wehrmacht in Österreich und ist heute ein revisionistischer alt Nazi der auf seinem Weingut in Österreich den stolzen SS-Kerls hinterher trauert.)

17.07.1999
Da ich sie ganz sicher nicht mit Ww. begrüssen möchte und kann sage ich einfach so Hallo!

Heute und gerade heute möchte ich Ihnen eine Geschichte erzählen. Eine sehr persönliche Geschichte die meinen Großvater betrifft.

Er war ein grossartiger, liebevoller und sehr weiser Mensch! Ein guter Sohn ein liebevoller Ehemann und Vater und der beste Grossvater den man sich vorstellen kann. Von ihm habe ich die Liebe zur Physik und Astronomie geerbt.

Seine Geschichte ist die fast aller Juden zur damaligen Zeit.

Eines Tages es war kurz nach Fertigstellung des KZ Buchenwald bei Oranienburg wurde er aus einer Vorlesung in der Alma Mater Berolinensis (Humboldt Universität Berlin )geholt und verhaftet .Er hat nie darüber gesprochen was ihm vorgeworfen wurde und was ihm bei der Gestapo passiert ist das war für ihn nach seinen Erlebnissen im KZ völlig unrelevant. Das einzige über das er voller Selbstironie sprach war "das er einer der ersten und auch einer der letzten Kommunistisch Jüdischen KZ Häftlinge war. Ich habe nie genau erfahren aus was für einem Grund er eigentlich verhaftet wurde. Er stand der KPD nahe war aber nie Mitglied in der Kommunistischen Partei ich glaube ihm war auch nicht so richtig bewusst ob er als Jude, als Kommunist ,als Kommunistischer Jude oder als Jüdischer Kommunist ins KZ kam.
Ich denke das spielt hier auch gar keine Rolle.

In dieser Zeit des Leidens und der Qualen hat er in eben diesem KZ alle sogenannten Karrieren durchlaufen die möglich waren. Die meiste seiner Zeit verbrachte er mit dem beseitigen von bei Massenhinrichtungen Ermordeten.

Sie haben Recht wenn Sie sagen soviel Menschen konnte man gar nicht verbrennen. Diese Öfen entstanden auch später als die Gaskammern und auch diese waren nicht gleich von Anfang an da.
Zum Anfang gab es Massenerschiessungen .Die Häftlinge mussten ihre eigenen Gräber schaufeln und wurden dann hingerichtet.

Danach begann die Gruppe von Häftlingen ihre Arbeit zu der mein Grossvater gehörte. Sie mussten entweder Benzin über die Leichen giessen und diese verbrennen um dann die Gräber zu schaufeln oder die einzelnen Lagen der Toten wurden mit ungelöschten Kalk bestreut und dann verscharrt.
Von dieser Gruppe von Häftlingen kam er später zu denjenigen, die die Ermordeten auf Holzkarren von den Gaskammern zu den Verbrennungsöfen transportierten. Unter den Toten befanden sich nach seinen eigenen Erfahrungen so manchmal noch Lebende .Sie atmeten noch oder röchelten und so kamen Sie in die Öfen und wurden lebendigen Leibes verbrannt.

Diese Dinge erzählte er mir nicht auf einmal sondern im Laufe einiger Jahre.

An meinem 16 Geburtstag nahm er mich an die Hand und fuhr mit mir an den Ort des Grauens und dort erzählte er mir den vorletzten Teil der grauenhaften Erlebnisse. Er wurde im KZ irgendwann dazu abgestellt die Arbeit an den Öfen zu übernehmen und dort passierte das was wohl das grausamste ist das ein Mensch erleben kann unter den Toten befanden sich sein eigenen Vater und zwei seiner Brüder und er musste sie verbrennen!!!

Wenn es beim Schreiben möglich wäre würde ich hier eine ganz lange Pause einlegen.

Ein Erlebnis in einer Grössenordnung die sich kein Mensch vorstellen kann. Er konnte auch nur am Ort des Geschehens darüber sprechen. Mit so einem Erlebnis weiter leben zu können erscheint mir fast unmöglich und dann auch noch in dem Land in dem dies alles geschah.

Den letzten Akt habe ich selbst miterlebt .

Anfang der Achtziger Jahre erkrankte mein Grossvater schwer und ich zog zu ihm um meine Grosseltern nicht allein zu lassen. Die wenige Zeit die ihm noch blieb verbrachte er in ständiger Angst!
Er stand immer im Hausflur am Treppengeländer und flüsterte "Jetzt kommen Sie mich holen, gleich kommen sie."

Sein letztes Gefühl auf dieser Erde war pure Angst.

Meiner Grossmutter gelang hochschwanger die Flucht ins Exil nach Grossbritannien wo meine Mutter dann auch zur Welt kam. Sie erlebten den Wahnsinn des dritten Reiches aus relativ sicherer Entfernung, obwohl der Wahnsinn sie auch immer begleitete .
Ständig war die Frage nach dem Mann ,dem Vater oder den Eltern und Geschwistern sowie allen anderen Verwandten, wo waren sie, lebten sie überhaupt noch würde man sich jemals wiedersehen. Fragen ,Fragen, Fragen die immer im Raum standen und niemand beantworten konnte.
Die Antwort die sie nach dem Krieg erhielten klingt wie eine Statistik: 85% der Familie war ermordet worden.
Dahinter stehen viele, viele Namen die ich hier gar nicht alle aufzählen kann.

Leider bin ich nicht in der Lage meine Gefühle die sich während ich dies schreibe entwickeln in Worte zu fassen um dieses Grauen das mich überfällt ,zu beschreiben.

Nach Ende des Krieges und der Befreiung aus dem KZ suchte mein Grossvater seine Familie über längere Zeit da auch er nicht wusste ob es ihnen gelungen war zu fliehen.
Ich kann nicht sagen welche Ursachen oder Zufälle dazu führten das sie sich Ende 1946 in der SBZ dann wieder fanden aber es geschah, und eine schwere Zeit ging zu Ende.

Dafür brach eine andere schwere Zeit an. Es begann die Suche nach anderen noch lebenden Verwandten. Die schreckliche Erkenntnis nach FÜNF Jahren verzweifelter Suche war das es vom Europäischen Teil der Familie nur noch einer Schwester meiner Grossmutter gelungen war zu Überleben, die restlichen Mitglieder der Familie die noch lebten waren weit vor dem Krieg in die USA ausgewandert.

Ich weiss bis heut nicht wie, wo und wann meine Leute umgekommen und vernichtet wurden, und ich möchte es auch nicht mehr wissen, nur eines will ich noch ,verhindern das es wieder Opfer gibt! Opfer eines wahnsinnigen Systems das aus Unmenschlichkeit und Denunziantentum eine Religion machte.

Meine Mutter wurde ein Spätopfer dieses Systems.
Ich habe sie in den 9 Jahren, die ich mit ihr zusammen sein dufte oft in der Nacht Weinen gehört oder erlebte wie sie mit irgendwelchen imaginären Personen sprach. Ich konnte von ihr nie erfahren was sie bedrückte. Sie wollte mich von diesen Problemen fernhalten und hat das auch teilweise geschafft.

Nur sie hat es nicht geschafft.
Am 9.4.1970 beendete sie ihre Qualen durch den freiwilligen gang in den Tod.
Ich hoffe das kein Mensch auf dieser Welt es jemals wieder nötig haben wird sich zu Endleiben nur weil niemand da ist mit dem er seine Probleme besprechen kann.

Prof.h.c.Frank-Willy Schmidt




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