"Es geht uns um die Gleichwertigkeit aller Menschen"


Israelitisches Wochenblatt, 6.1.1998
Von Iso Ambühl

Die Basler Aktion Kinder des Holocaust hat eine Debatte gegen das Buch "Das Rätsel des Judentums" des verstorbenen Autors Ludwig Thieben lanciert. Die Aktion verlangt unmissverständlich, dass der Basler Verleger Thomas Meyer das Buch sofort aus dem Verkauf nimmt. Zur Frage, ob Buch und Nachwort antisemitisch sind, gehen die Meinungen auseinander. Hat die Aktion zu überzogen reagiert ?

Der Kampf der Aktion Kinder des Holocaust gegen das 1991 durch den Basler Verleger Thomas Meyer und seinem Perseus Verlag neu aufgelegte Buch "Das Rätsel des Judentums" von Ludwig Thieben und gegen das Nachwort Meyers begann anfangs Dezember letzten Jahres. Sowohl dem Verleger Meyer als auch Buchhandlungen machte die Aktion in verschiedenen Schreiben klar, dass Buch wie Nachwort antisemitisch seien und darum aus dem Verkauf zu nehmen seien. Ansonsten drohe ein Anzeige wegen Verletzung der Antirassismus-Norm. In verschiedenen lokalen Basler Medien wurde darauf über den Kampf der Aktion gegen das Buch Thiebens berichtet.

In einem Katalog an Meyer hat die Aktion Kinder des Holocaust am 5. Januar dieses Jahres ihre wichtigsten Forderungen aufgelistet. Darin heisst es unter anderem:
1. Thomas Meyer müsse das von ihm verlegte antisemitische Buch "Das Rätsel des Judentums" sofort aus dem Verkauf nehmen.
2. Die Aktion fordert von Meyer, dass er sich bei den Opfern und den Nachkommen der Opfer der Shoah "für die Perversion seiner Sinngebung im Nachwort" öffentlich entschuldige.
3. Meyer soll ein weiteres Buch aus dem Verlagsprogramm, "Wesen und Wollen des Nationalsozialismus" von Karl Heyer, selbstkritisch untersuchen und allenfalls auch zurückziehen.
4. Meyer, der der Anthroposophie nahe steht, soll sich einer öffentlichen Diskussion - vielleicht an einem Podium - zum Thema Antisemitismus in der Anthroposophie stellen.

Ihre Forderungen gegen Thiebens Buch und das Nachwort stützen Samuel Althof und seine Kollegen der Aktion einerseits auf Textstellen. So schreibt beispielsweise Thieben: "An die leibliche Generationsfolge, an das vererbte Blut war das religiöse und geistige Leben bei allen antiken Völkern gebunden; das Spezifische des Judentums liegt aber darin, dass hier ein universelles Weltelement in dem gesetzmässig gegliederten Blutsorganismus eines Volkes innerhalb der Erdenentwicklung leben konnte". Thieben formuliere rassistisch, erklärt der Basler Theologieprofessor Ekkehard Stegemann in einem Brief an die Aktion, wenn er schreibe, es sei die jüdische "Blutsveranlagung" der Grund dafür, dass das Judentum sich gegen das Christentum wehre.

Nicht minder heftig kritisiert der evangelische Pfarrer Nico Rubeli, Leiter der Stiftung für Kirche und Judentum, das Nachwort. Der Satz Meyers "Wenn durch die Leiden des Holocaust - innerhalb des Judentums immer mehr Menschen die Augen aufgehen werden für die Tatsache, dass die erneuten "Grosstaten" Christi, von denen Herzl geträumt hat, in Wirklichkeit im ätherisch-übersinnlichen Geistbereich der Erde zu suchen sind, wo sie sich seit den 30er Jahren dieses Jahrhunderts fortwährend abspielen, so könnte es gerade der beste, sich fortentwickelnde Teil des Judentums sein, der dem Deutschtum in Zukunft bei der Verwirklichung seiner wahren Aufgabe beisteht" ist für Rubeli unerträglich. In einem Brief an die Aktion schreibt er: "Dieser Gedanke (des obigen Satzes; Red.) schändet das Martyrium der Opfer Hitlers, die sich ihre Rolle, barbarisch ermordet zu werden, nicht ausgesucht hatten".

Die Basler Buchhandlung Pegasus verkauft das Buch zum Preis von 44 Franken auch im neuen Jahr weiter. Sie hatte im Dezember den Anwalt Patrik D. Maurer beigezogen, der in einem Fax Althof aufforderte, "von weiteren Nötigungsversuchen gegenüber meiner Mandantin und Dritten sowie von der weiteren Verbreitung Ihrer Behauptungen abzusehen". Der Anwalt wies auf die "Unbegründetheit" der Vorwürfe hin und legte eine Meinungsäusserung von David Schweizer, Präsident der Zionistischen Vereinigung Basel Stadt, vor. Darin kommt Schweizer zum Ergebnis, dass das Buch Thiebens inklusive Nachwort weder antisemitisch noch rassistisch sei. Gegenüber dem IW betonte Schweizer, dass es im Buch zwar Stellen gebe, wo es auch ihn "gewürgt" habe. Wenn man das Werk jedoch unbefangen lese und positive Absichten Thiebens berücksichtige, sei das Buch gesamthaft gesehen nicht antisemitisch.

Haben Althof und die 1991 gegründete Aktion die ganze Sache um das Buch aus den 30er Jahren aufgebauscht ? Im Gespräch mit dem IW erklärte Althof, er wisse, dass die Aktion auf jüdischer Seite teilweise umstritten sei: "Wenn uns etwas missfällt zögern wir halt nicht. Wir setzen alle Hebel in Bewegung". Ziel sei es, auf Antisemitismus und Rassismus aufmerksam zu machen sowie andere in diesem Kampf zu unterstützen. Es gehe um das Thema der Gleichheit (Gleichwertigkeit; akdh) aller Menschen. Ganz offen sagt Althof, dass "wir uns in der jüdischen Gemeinschaft nicht aufgehoben fühlen". "Uns missfällt, dass die jüdischen Gemeinden hierzulande oftmals viel zu zögerlich gegen Antisemitismus und Rassismus vorgehen". Wenn die Aktion Antisemitisches aufdecke, herrsche auf jüdischer Seite teils die Angst vor, dass alles wieder von vorne beginne: "Darum derealisiert man lieber die aktuelle Situation, um nicht wahrnehmen zu müssen, wie verbreitet Antisemitismus hierzulande ist". Kritische Töne von jüdischer Seite hängen seiner Meinung auch mit dem kritischen Standpunkt der Aktion gegenüber Israel zusammen: "Wir kritisieren zum Beispiel israelische Bombardierungen im Südlibanon, was uns angekreidet wird".
Iso Ambühl

 
 


© Aktion Kinder des Holocaust