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  Stopp! Zutritt für Unbefugte verboten
 

QU: SonntagsZeitung; 2002-07-21

Wie frei ist das Internet noch? Die Fälle gerichtlich verordneter Website-Schliessungen häufen sich, staatliche Stellen durchsuchen das Web nach strafbaren Inhalten

Gotteslästerungen bleiben zumindest auf Erden nicht ungestraft. So sperrte eine Spezialeinheit der italienischen Finanzpolizei Ende Juni die Website www.porcamadonna.com, auf der Anhänger eines Gotteslästerungskults Flüche zum Himmel ausstiessen - im Namen der Meinungsfreiheit. Doch diese hat auch im virtuellen Raum ihre Grenzen, zum Leid von Internetfreiheitskämpfern, die jeden Versuch, das ungestörte Fliessen von Bits und Bytes zu unterbinden, als Zensur taxieren.
Die anarchischen Zeiten des Internets gehen jedoch allmählich zu Ende. Kontrollen werden verschärft, erzwungene Website-Schliessungen mehren sich. "Zensur wird salonfähig", sagt Anton Kolb, Philosophieprofessor an der Universität Graz und Verfasser eines Ethikkodexes fürs Netz.
Das Wort Zensur fliesst allerdings oft allzu leicht von den Lippen. Wenn zum Beispiel Scientology die Betreiber der Suchmaschine Google mit Hilfe des Urheberrechts zwingt, Scientology-kritische Websites aus dem Verzeichnis zu entfernen, ist das nicht Zensur, auch wenn die Sekte dadurch unliebsame Kritiker mundtot macht.

Veröffentlichte Inhalte werden auch in Demokratien zensiert

Zensur meint, dass Staaten in die Meinungsfreiheit eingreifen. In Demokratien ist Vorzensur zwar verboten: Es gibt keine Zensurbehörde wie in China, die Publikationen bewilligen muss. Nach der Veröffentlichung zensieren allerdings auch demokratische Staaten Äusserungen, die gegen das Strafrecht verstossen. Die Gotteslästerung ist etwa im katholischen Italien genauso wie in der Schweiz und in Deutschland ein Vergehen.
Eine deutsche Plattenfirma musste 1998 wegen "Beschimpfung von religiösen Bekenntnissen", so lautete das Verdikt des Nürnberger Gerichts, ihre Website vom Netz nehmen. Die Firma vertrieb via Internet das "Schweine- T-Shirt" der Punkrock-Band WIZO, mit einem ans Kreuz genagelten Schwein und dem Namen der Band anstelle des Original-Schriftzugs INRI. Das Bischöfliche Ordinariat Regensburg hatte Strafanzeige erstattet.
Regulierungsbefürworter und Verfechter der Meinungsfreiheit streiten sich seit Jahren, wie im Internet mit Inhalten verfahren werden soll, die gegen ethische und strafrechtliche Grundsätze verstossen. Neue Gesetze, Sperrungen und Filter fordern die einen, für die anderen gibt es nur eine Lösung: die Ausbildung von Medienkompetenz. Das Credo der Zensurgegner, das Internet sei ein Spiegelbild der Gesellschaft, bringt Philosophie-Professor Kolb in Rage: "Das ist utopisch. Im Internet darf es keinen rechtsfreien Raum geben."
Internetfilter, wie sie Behörden in Deutschland, England und Griechenland entwickeln lassen, sollen Kinder und Jugendliche künftig vor "gefährlichen" Inhalten schützen. Die deutsche Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften - die sich auf ihrer eigenen Website von der Bezeichnung Zensurbehörde distanziert - hat zur Zeit 650 pornografische, rechtsextremistische und gewaltverherrlichende Websites auf den Index gesetzt.
Das schlagendste Argument der Regulierungsbefürworter heisst Kinderpornografie. Dass die Täter auch im Internet verfolgt werden müssen, darüber sind sich alle Staaten einig. Doch schon beim Rassismus hören die Gemeinsamkeiten auf. Was in einem Land verboten ist, ist in einem anderen erlaubt, und nationales Recht greift im globalen Internet selten. Die meisten rechtsextremen Sites lagern in US-amerikanischen Grossrechnern. Dort dürfen Neonazis, geschützt vom Gebot der Meinungsfreiheit, ihre antisemitischen Hasstiraden ungestört verbreiten.
Am 8. Februar löste eine Verfügung der Düsseldorfer Bezirksregierung an mehr als 80 Internetanbieter in Nordrhein-Westfalen, den Zugang zu rechtsextremen US-Websites zu sperren, eine Protestwelle in Deutschland aus. 300 Personen gingen am 6. April in Düsseldorf auf die Strasse, um gegen "Netz-Zensur" zu demonstrieren. Das Online-Demonstrationsforum (ODEM) sammelte auf seiner Website Unterschriften gegen die Einschränkung der Informationsfreiheit und erstattete Anzeige gegen Mitglieder der Bezirksregierung. "Der mündige und ausgebildete Bürger ist immer sein bester eigener Filter", argumentiert ODEM. Niemand werde im Internet gezwungen, bestimmte Texte und Bilder zu konsumieren. Man müsse gezielt in Diskussionsforen etwa nach kinderpornografischen Bildern suchen, um solches Material zu finden.
Ein französischer Richter hatte am 30. Oktober 2001 in Paris in einem ähnlichen Fall zum ersten Mal ein Urteil gesprochen: Die französischen Internetanbieter seien nicht verpflichtet, den Zugang zum US-amerikanischen Neonazi-Portal front14 mit mehr als 750 rassistischen Websites für Frankreichs Bevölkerung zu blockieren.
Ob und wann die Schweizer Anbieter Websites sperren müssen, diskutiert seit Februar die Expertenkommission "Netzwerkkriminalität" des Bundesamts für Justiz. Die Zugangsanbieter verlangten nach Sperranweisungen der Bundespolizei im Juli 1998 gegen rassistische Websites und der eidgenössischen Spielbankenkommission im November 2000 gegen 700 Internetspielbanken klare rechtliche Verhältnisse. "Eine bloss informelle Vorgehensweise (. . .) könnte nur zu leicht in unzulässige Zensur ausarten", schreibt der Verband Inside Telecom in einer Stellungnahme. Die Anbieter sind in der Zwickmühle. Befolgen sie die Sperrungen, werden Zensurvorwürfe erhoben, weigern sie sich, riskieren sie die Mittäterschaft.

Nicht Provider, sondern die Anbieter strafbarer Inhalte sollen haften

Die Kommission soll bis April 2003 einen Entwurf ausarbeiten, in dem sie weit gehend einer europäischen Richtlinie folgen wird, die Anfang Jahr in den EU-Ländern umgesetzt wurde. Für strafbare Inhalte sollen nur Inhaltsanbieter verantwortlich sein, Internetanbieter hingegen sind nicht haftbar.
Problematisch sind präventive Sperrungen zur Abwehr von Gefahren wie in Düsseldorf und Paris, da sie in der Schweiz keine rechtliche Grundlage haben. Im Februar 2000 sperrten auf Druck der Aktion Kinder des Holocaust auch hier zu Lande Internetanbieter den Zugang zum Neonazi-Portal front14. Solche präventive Sperrungen sollen gemäss Kommissions-Mitglied Christian Schwarzenegger, Rechtsprofessor an der Universität Zürich, in Zukunft im Polizeirecht verankert werden. Eine eigens dafür geschaffene Bundesstelle wird beurteilen, welche Websites gegen das Recht verstossen und entsprechend Sperrungen verfügen. Anfang 2003 sollen ausserdem vier Beamte der neuen Internet-Monitoring-Stelle des Bundes im Internet patrouillieren, um nach Verbrechern zu fahnden. Zensurkritiker hören schon die Alarmglocken: "Man sollte aufmerksam reagieren, wenn plötzlich Websites geschlossen werden", sagt Zensurforscher und Buchautor Roland Seim.
Manchmal wird die Zensurdiskussion ad absurdum geführt. Die Antiglobalisierungsgruppe Indymedia Schweiz beispielsweise wurde Opfer ihrer eigenen Liebe zur Meinungsfreiheit. Indymedia hatte einen antisemitischen Text und Comic auf ihrer Website in einen "Zensur-Kübel" verschoben, um sich von den Urhebern zu distanzieren. Nachdem die Gruppe wegen Verbreitung rechtsextremer Inhalte angeklagt worden war, nahm sie ihre Website gleich selber vom Netz.



 


© Aktion Kinder des Holocaust